Kein Foto mit dem Dalai
Lama |
| Ein Zeichen des Dialogs, Gesprächsbereitschaft mit
dem Oberhaupt der Buddhisten - doch die Chancen dafür stehen
schlecht. In der Tibetfrage kristallisieren sich
unterschiedliche Denkschulen und disparate
Geschichtserfahrungen.
VON MICHAEL RUTZ, PEKING UND
SCHANGHAI |
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KONTRAST: China legt Wert auf
seine eigene Kultur - und lässt sich ungern hineinreden.
Im Bild: der "Bund" in Schanghai. Foto: Stephane
Frances
| Ein Foto nur, dieses eine Foto.
Der Dalai Lama müsste darauf zu sehen sein, und Chinas
Staatspräsident Hu Jintao, notfalls auch nur ein Minister. "Es
ist wichtig", sagt Bundesbildungsministerin Annette Schavan in
Peking, "dass es ein Zeichen gibt", ein Zeichen des Dialogs,
und zwar vor den Olympischen Spielen. Die Ministerin
agiert vorsichtig. Seit dem großen Krach zwischen China und
Deutschland wegen Angela Merkels Honneurs an den Dalai Lama
ist Schavan das erste deutsche Kabinettsmitglied in Peking,
sie sondiert - eingebunden in ein erfolgreiches
Wissenschaftsprogramm - das Terrain, formuliert ihre und wohl
der Kanzlerin Botschaften verhalten. Erstens: Die
Bundesregierung steht zur Ein-China-Politik, sie anerkennt
also den territorialen Anspruch Chinas auf Tibet. Zweitens:
"Wir wünschen, dass die Olympischen Spiele solche des Dialogs
und des Friedens sein können", sagt sie. Und schiebt den
dritten Punkt hinterher: Es sei wichtig, die Zeit bis zu den
Spielen für den Dialog zu nutzen, "wir sagen das aus
Verbundenheit und Sorge". Ansonsten: Zurückhaltung und die
Erinnerung an den Johannes-Rau-Aphorismus: Manch Ratschlag ist
mehr Schlag als Rat.
Annette Schavan weiß: Die Chinesen
sind empfindlich. Sie möchte die lockere Freundlichkeit nicht
gefährden, mit der ihr Ministerkollege Wan Gang sie empfangen
hat, ein Wissenschaftler, der sechzehn Jahre in Deutschland
lebte und arbeitete, der Deutschland und die Deutschen kennt
und daher manches an Nachsicht mitbringt für den
Missionseifer, mit der dieses Land sein Demokratie- und
Menschenrechtsmodell in der Welt herumreicht.
China ist anders. Seit
Jahrtausenden haben die Chinesen - immer wieder gegen
westliche und auch japanische Aggressoren - ihren
Einheitsstaat zusammengehalten, haben ihre Staatsdoktrin über
die Zeit gerettet. Was den Staat anlangt, die Lebensform für
das diesseitige Leben, sind sie Konfuzianer und kennen ewige
Wahrheiten. Diese Einheit lassen sie sich nicht zerstören.
Mehrfach hat die Geschichte sie
Skepsis gelehrt. Die Angriffe auf ihr Staatsgebiet in
vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten haben sie nicht
vergessen. Auch haben sie zugesehen, wie ganz wesentlich auch
durch den Einfluss des katholischen Papstes der Kommunismus
zusammenbrach und mit ihm das Großreich Russland. Weil ihnen
das nicht passieren soll, haben sie die Religionen unter
Beobachtung gestellt, ein Misstrauen, das sich nur langsam
löst.
In der Tibetfrage konzentrieren
sich alle diese Ängste - und nicht nur solche der Führung,
auch die der Bürger selbst: Gefährden die Unruhen, deren
Beförderung sie dem Westen vorwerfen, die Einheit der Nation?
Gefährden sie ihr langfristiges Denken? Soll ihnen eine
Gesellschaftsform aufgezwungen werden, die sie für sich gar
nicht wollen?
Am zweiten Tag wird diese Skepsis
nochmals deutlich. Sozusagen als Präsent - ein Schelm, wer
eine Hinterlist vermutet - hatte die deutsche
Bildungsministerin ein wenig Aufklärung mitgebracht. An der
renommierten Peking-Universität war der Hörsaal voll, als die
deutschen Professoren Höffe und Kablitz und ihre chinesischen
Kollegen Han Shuifa und Huang Liaoyn zu Referaten antraten,
ein Symposium über die Frage, was Immanuel Kant damals wie
heute, im Westen wie in China bedeute. Schavan gab die
Vorlage: Aufklärung präge nicht nur das Verständnis von
Wissenschaft und Bildung, sondern alle Bereiche des Lebens,
nicht zuletzt habe sie den Wandel von totalitären zu
demokratischen Staaten befördert, bilde den Schlüssel für die
Teilhabe an gesellschaftlicher, sozialer und kultureller
Teilhabe. Auch unterstreiche sie die unantastbare Würde des
Menschen und seine Berufung zu Freiheit und Verantwortung, und
Otfried Höffe ergänzte, das "sapere aude" - "Habe Mut, dich
deines eigenen Verstandes zu bedienen" - könne dem gemeinsamen
Potenzial aller Menschen zur Wirksamkeit verhelfen.
Inmitten dieses
Aufklärungs-Idealismus benahm sich der universitätseigene
Philosoph Han Shuifa in eloquentem Deutsch dann eher wie ein
Spielverderber. Für die vor 200 Jahren formulierten Gedanken
der Aufklärung wolle er das Abendland gerne loben, doch in
China seien diese Ideen schon 2000 Jahre alt. Und als
besonders aufgeklärt hätte China die westlichen kriegerischen
Attacken in den letzten Jahrhunderten auch nicht empfunden, so
gesehen habe "die Aufklärung aus dem Westen den Chinesen Leid
zugefügt". "Das Vertrauen zur Vernunft steckt in einem
Dschungel", meinte Professor Han, für diese Empfindung gebe es
reichlich Anlass.
Den breiten Ärger, der in China in
diesen Tagen über westliche Bevormundungen formuliert wird,
erwähnte Han nicht. Aber er sprach das Subjekt-Objekt-Problem
der Aufklärung an: Wenn sich nur ausreichend viele Subjekte
als stolze Träger der Aufklärung und ihrer Ideen fänden,
suchten sie sich bald einen, den sie missionieren könnten. Sie
machten andere Subjekte der Aufklärung damit zum Objekt ihrer
Vernunftauffassung, und das sei nichts weniger als eine andere
Form des Machtanspruchs und des Totalitarismus in
aufklärerischem Gewand. Und er erzählte eine Parabel: Der Gott
des Nordmeeres und der des Südmeeres - beides fein
ausgebildete Gestalten mit allen sieben Kopföffnungen für
Sehen, Hören, Atmen und Essen - trafen sich immer wieder im
Reich des Gottes der Mitte. Der war noch nicht so ausgeformt,
was das Missfallen der beiden anderen erweckte. Sie
beschlossen, ihm die fehlenden sieben Löcher in den Kopf zu
bohren. Aufgrund dieser "Behandlung" starb der Gott der Mitte.
Hier sei die Missionierung aus doppeltem Grund schiefgegangen:
Die aufklärerischen Maßnahmen waren unabsichtlich mörderisch -
und der Gott der Mitte hatte sich fatalerweise nicht gewehrt,
indem er etwa die sieben Löcher schnell wieder verstopfte.
"Wir müssen also der Aufklärung
klare Grenzen setzen, sie ist keine absolute Bewegung, keine
Erziehung einer Kommunität durch eine andere. Jedes Subjekt
muss kritisches Subjekt bleiben dürfen auch gegenüber allen
anderen." Das war deutlich - eine Situation, die der Kölner
Professor Andreas Kablitz durch den Verweis auf die der
Aufklärung notwendig innewohnende Pflicht zur Toleranz
rettete, die im Extremfall selbst den "Verzicht auf
Durchsetzung des Gestaltungsanspruchs einer Wahrheit" umfasse.
Von solcher Toleranz spüren die
Chinesen in diesen Tagen wenig. Sie verweisen, was das
Tibet-Problem betrifft, auf ihre Verfassung (Fassung vom 24.
März 2004). Dort heißt es im Artikel 4: "Alle Nationalitäten .
. . sind gleichberechtigt. Der Staat schützt die legitimen
Rechte und Interessen der nationalen Minderheiten und erhält
und entwickelt die Beziehungen der Gleichberechtigung, der
Einheit und des gegenseitigen Beistandes unter allen
Nationalitäten Chinas. Die Diskriminierung und Unterdrückung
jeglicher Nationalität ist verboten, desgleichen jede
Handlung, die die Einheit der Nationalitäten untergräbt oder
ihre Spaltung betreibt."
"Die Gesetze waren
bekannt" Die Berichte westlicher Journalisten,
chinesische Behörden hätten tibetische Mönche angegriffen,
weisen sie empört zurück. Vielmehr hätten tibetische Mönche in
Tibet lebende Han-Chinesen mit Waffengewalt angegriffen - eine
Version, die auch deutsche Diplomaten in Peking nach
sorgfältiger Prüfung für wahrscheinlich halten. Erst
anderthalb Tage später hätten die Behörden eingegriffen, so
wie das in jedem Land geschehen wäre. Der chinesische
Standpunkt: Wer die Unabhängigkeit Tibets erkämpfen wolle,
werde bestraft, jeder kenne das chinesische Strafgesetzbuch,
in dessen Paragraf 103 es heißt: "Wer die Spaltung des Staates
oder die Zerstörung der Einheit des Staates organisiert, plant
oder betreibt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit
Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren", und wer "dazu
aufhetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren"
bestraft.
Das alles sei ganz normal für
einen auf seine Einheit bedachten Nationalstaat, - so, wie das
beispielsweise auch in Spanien mit dem Baskenland geschehe.
Wer die Einheit des Staates unterminiere und mit
Unabhängigkeitsfahnen durch Lhasa laufe, der könne sich nicht
auf den Religionsschutz berufen. Tibet gehöre zu China - seit
1720, als Kaiser Kang Xi mit dem Dalai Lama nach der
Vertreibung der Dsungar-Mongolen einen Vertrag schloss, durch
den sich Tibet der Schutzmacht China unterstellte.
Der Freiburger Sinologe Harro von
Senger, der zur Delegation der deutschen Forschungsministerin
gehörte, hält das strategemische Denken der Chinesen für einen
entscheidenden Punkt. (siehe: www.36strategeme.de). "Hinter
dem Lächeln den Dolch verbergen" - so lautet das zehnte
Strategem im "Geheimen Buch der Kriegskunst" des Sanshiliu Ji
aus der Zeit um 1500. Senger erläutert chinesische
Empfindungen: Da labe der Dalai Lama lächelnd sinnsuchende
abendländische Seelen und beteure, nicht die territoriale
Unabhängigkeit Tibets anzustreben. Zugleich aber entwerfe er
auf der Website seiner Exilregierung das Bild einer
unabhängigen tibetischen Nation - eine Doppelstrategie. Hinter
dem Lächeln den Dolch verbergen - diesen Dolch des Dalai Lama
fürchten sie.
Chinas Politiker bangen um ihre
Supraplanung, die die Entwicklung des Landes in
Jahrhundertschritten denkt. Sie sehen die dazu notwendige
Stabilität der Nation gefährdet, sie glauben, dass das dritte
Strategem - "mit dem Messer eines anderen töten" - hier gegen
sie angewendet werden soll: Der Dalai Lama versteckt sich
hinter dem Westen.
Heute Tibet, morgen die
Uiguren Die Attacken aus dem Abendland halten sie
aber auch für einen Verstoß gegen internationale
Vereinbarungen, zum Beispiel gegen die Charta der Vereinten
Nationen, in der (Punkt 1 des Artikel 2) von der "souveränen
Gleichheit aller ihrer Mitglieder" die Rede ist.
Und schon gar nicht wollen sich
die Chinesen das westliche Demokratiesystem aufzwingen lassen.
Lange gibt es die Menschenrechtskommission der Vereinten
Nationen noch nicht, aber in ihrer 29. Resolution vom 19.
April 2005 hat sie "bekräftigt, dass zwar alle Demokratien
gemeinsame Bestandteile haben, es aber kein alleingültiges
Modell der Demokratie gibt; deshalb muss der Versuch
unterbleiben, ein spezifisches Demokratiemodell zu
exportieren". 28 Länder votierten dafür (darunter China), 14
dagegen (darunter Deutschland), elf enthielten sich der
Stimme. Ein Mehrheitsresultat - das der Westen zwar inhaltlich
nicht teilt, das er aber doch so tolerieren muss, wie er das
bei für ihn günstigeren Mehrheitsbeschlüssen auch von anderen
Mitgliedsländern der Vereinten Nationen erwartet.
Ein Foto nur, dieses eine Foto,
vor den Olympischen Spielen, Hu Jintao links, der Dalai Lama
rechts? Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist gleich
null - der Gesichtsverlust wäre zu groß, die Befürchtung
schiene der chinesischen Regierung zu offenbar, dass eine
Bewegung "Los von China" gestärkt würde - heute Tibet, morgen
die Uiguren, übermorgen ein anderer Landesteil.
Unwahrscheinlich bleibt das Foto
auch aus einem anderen Grund. Denn vor wenigen Monaten erst -
am 13. Juli 2007 - hat das Nationale Büro für
Religionsangelegenheiten die "Verwaltungsmaßnahmen für die
Reinkarnation Lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus"
erlassen, die am 1. September 2007 in Kraft traten. Seither
bedarf die Prozedur zur Identifizierung von Reinkarnationen
und das Findungsergebnis staatlicher Genehmigung. Einmischung
oder Kontrolle von Organisationen oder Personen außerhalb des
chinesischen Staatsgebietes (also auch des im indischen Exil
lebenden Dalai Lama) werden nicht toleriert. Und es gilt:
Unautorisierte Prozeduren sind illegal.
Derzeit gibt es zwei "Panchen
Lama", eigentlich "Panchen Rinpoche", tibetisch für "großes
Gelehrtenjuwel", ein zentraler Gelehrter im buddhistischen
System, der bei der Nachfolge des Dalai Lama kraft eines
Schüler-Lehrer-Verhältnisses eine bestimmende Rolle spielen
soll. 1995 hatte der Dalai Lama mit einer Findungskommission
ein Kind namens Gedhun Ghoeki Nyima in Tibet als 11.
Reinkarnation des Panchen Lama identifiziert. Das wollte sich
die chinesische Regierung nicht bieten lassen, entführteden
Knaben auf Nimmerwiedersehen und ließ einen anderen namens
Gyaltsen Norbu zum Panchen Lama ernennen. Der ist heute 17
Jahre alt und wird in Peking nationalistisch erzogen. Auf
irgendeine Bindung zum jetzigen Dalai Lama kann er nicht
verweisen, auch wird er kaum Wirkungskraft entwickeln für die
Buddhisten in anderen Teilen der Welt - die Spaltung des
Buddhismus würde vorprogrammiert, ein totalitärer Eingriff in
die Autonomie der Religionen, wie sie die chinesische
Regierung auch im Katholizismus vorantrieb durch die Ernennung
ihr genehmer Bischöfe, jenseits jeder Zustimmung durch Rom.
Zum Ausdruck kommt dabei eine gewisse Religionsverachtung, die
auch im philosophischen Konfuzianismus wurzelt, dem Religion
und Aberglaube einerlei sind.
Erst einfühlen, dann
reden Alle diese Hintergründe beschreiben die
unveränderte Kompliziertheit des abendländisch-chinesischen
Verhältnisses. Sie definieren die Grenzen unseres Einflusses,
die wir auch sorgfältig kennen und wahren sollten. Sie
verweisen aber auch auf die Notwendigkeit eines gewissen
Anpassungsprozesses Chinas an internationale Standards des
Umgangs, der Achtung voreinander und der
Menschenrechtsdefinition, die China erst zum rundum
respektierten Partner der Weltgemeinschaft machen kann.
Als Annette Schavan das Land verlässt, ist
die Botschaft für Berlin klar: Den Dialog kann man führen,
auch lässt sich manches erreichen - das aber umso eher, je
diskreter die Gespräche sind, je weniger öffentlich man die
chinesischen Machthaber vorführt, je intensiver man sich mit
ihren Ängsten, ihrer Geschichte und der immensen Aufgabe
befasst, ein solches Riesenreich in einer für die ganze
Weltgemeinschaft notwendigen Stabilität weiterzuentwickeln.
Schon haben sich die nächsten Reisenden in Peking angesagt:
Innenminister Schäuble, Außenminister Steinmeier, im Herbst
die Kanzlerin. Die Herausforderungen bleiben.
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